Mein Weg von Bochum nach Bayreuth
„Falls du Interesse haben solltest“ – mit diesen Worten fing alles an. Das Schwulenreferat der Ruhr-Uni Bochum war einer der zahlreichen Empfänger des Briefs, der zum Wochenende in Bayreuth einlud. Mit dem Eingangszitat leitete ein Referent den Brief an mich weiter und ist somit auch irgendwie verantwortlich für eins meiner persönlichen Highlights des Jahres 2018. An dieser Stelle also schon mal ein erstes Dankeschön an den Referenten, nun aber erst mal der Reihe nach: Nach ein paar Wochen Überlegung entschied ich mich also, an dem Wochenende teilzunehmen und meldete mich an.
Um ein paar organisatorische Sachen zu klären, schrieb ich in den Wochen davor immer mal wieder mit Carsten und gewann langsam, aber sicher den Eindruck, dass mich eine spannende Zeit erwartet.
Freitag, 16. November 2018
Am Anreisetag selber war ich allerdings unruhig und angespannt, zur Vorfreude gesellte sich Aufregung. Mein Weg führte mich von Bochum nach Bayreuth, sodass ich auf der Zugfahrt genug Zeit hatte, um mir alle möglichen Gedanken zu machen: Was und vor allem wer würde mich in Bayreuth erwarten? Lohnt sich die lange Fahrt? Dass ich meine BahnCard vergessen hatte und bei der Kontrolle danach gefragt wurde (vorher ist das natürlich noch nie passiert), befeuerte meine Aufregung noch. Nach einigen verzweifelten Anrufen beim Kundencenter, die wegen der Funklöcher auf der Bahnstrecke und dem willkürlichen WLAN-Empfang im ICE immer wieder unterbrochen wurden, war die erste Hürde genommen. In Nürnberg fand mein Umstieg in den Regional-Zug nach Bayreuth statt und das nächste Abenteuer begann, weil jeder Zugteil in einem anderen Bahnhof endete: Sitze ich überhaupt im richtigen Zug? Der freundliche Schaffner bejahte meine Frage, sodass ich mich für die nächste halbe Stunde erst mal zurücklehnen und weiter meinen Gedanken nachgehen konnte.
In der Jugendherberge angekommen, begrüßte mich Tina (neben Carsten zuständig für die Organisation) an der Rezeption und ich bezog mein Zimmer für die nächsten beiden Nächte. Nach und nach trudelten die anderen ein und ich gewann einen ersten Eindruck von den anderen Teilnehmenden, der sich schon im Verlauf des Abends bestätigen sollte: Es waren offensichtlich einige ziemlich coole Leute nach Bayreuth gekommen! Nach einer kurzen ersten Besprechung fanden wir uns direkt zum Abendessen zusammen und tauschten uns beim Essen zum ersten von vielen Malen aus. Anschließend ging es damit weiter, dass Minka und Jana, unsere Moderatorinnen für das Wochenende, das Programm vorstellten; damit zusammenhängend besprachen wir auch die technischen Hilfsmittel, die zum Einsatz kommen sollten. Interessanterweise wollte zunächst niemand (inklusive mir) Gebrauch von der FM-Anlage machen. Nach den ersten Minuten war aber klar, dass die Anlage definitiv von Vorteil sein wird und damit hatte ich (wahrscheinlich wir alle) schon nach wenigen Augenblicken den ersten Lerneffekt! Bei insgesamt 18 Leuten müssen die Namen natürlich erstmal sitzen, sodass wir uns einzeln mit einer Geschichte zu unserem Vor- oder Nachnamen vorstellten. Beim Wechsel zum gemütlich(er)en Teil des Abends fanden wir uns erneut im Speisesaal zusammen und spielten bei ein, zwei, fünf Bierchen Activity, was von mehr oder weniger großem Erfolg gekrönt war. Bei den einen lag das an den eher bescheidenen Fähigkeiten zu zeichnen – womit ich mich durchaus auch selber meine, bei den anderen war die Kommunikation in der großen Gruppe schwierig und das vollkommen zu Recht! Erstens waren wir schon an die FM-Anlage gewöhnt und zweitens ist es eben doch nicht so einfach, jedes Mal deutlich zu machen, wenn man etwas nicht verstanden hat. Das Wochenende stand unter dem Motto „Empowerment für queere Hörgeschädigte“, wir waren also genau an der richtigen Adresse. Solche Situationen waren schließlich auch Thema unserer kleinen Nachtrunde, in der wir uns darüber unterhielten, in welchen Situationen wir uns benachteiligt fühlen und wie es dazu kommt. Für mich persönlich haben schon diese ersten Gespräche gezeigt, wie wichtig und wohltuend der Austausch mit Gleichgesinnten ist. Mit dem Kopf voller Denkanstöße und dem Magen voller Bier verabschiedeten wir uns ins Bett.
Samstag, 17. November 2018

Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Diese Frage gab den Startschuss in einen hochspannenden Tag. Der eigene Name in die Mitte eines Zettels, drumherum fünf Begriffe, die uns wichtig sind und die wir zu unserer Persönlichkeit dazuzählen. Gar nicht mal so einfach! Es stellte sich nämlich heraus, dass fünf Begriffe bei Weitem nicht ausreichen, um die eigene Person zu beschreiben. Wir tauschten uns zunächst mit einer anderen Person und dann im Plenum darüber aus, welchen Stellenwert diese Begriffe für uns haben. Die beiden zentralen Themen waren „queerness“ und „hörgeschädigt“, wobei es zu interessanten Diskussionen kam, wie wir uns selber definieren und ob wir uns mit diesen Worten überhaupt identifizieren.

Als fester Bestandteil des Wochenendes von vornherein angekündigt, erwies sich die halbe Stunde Zeit der Stille als Glücksfall für uns alle, weil wir (wortwörtlich) abschalten und uns ausruhen konnten. Für mich war es gegen Ende eher der final countdown, weil ich mich bei meinem Spaziergang irgendwo auf dem Campus der Uni Bayreuth verirrt hatte und den Weg zurück finden musste… naja, irgendwie bin ich doch rechtzeitig wieder an der Jugendherberge angekommen und unsere Gruppe konnte vollständig dem zweiten Teil des Tages entgegenblicken. Während Minka den Vormittag moderiert hatte, übernahm nun Jana das Mikrofon und gab uns hilfreiche Tipps über Keinohrhasen, Zweiohrhasen und Möhren. Wer jetzt an einen der besseren Til-Schweiger-Filme denkt, liegt nicht ganz falsch, aber in diesem Moment ging es um die Kommunikation der Bedürfnisse (als Möhre) von Hörgeschädigten (Keinohrhasen) an Normalhörende (Zweiohrhasen). Diese Wünsche so eindeutig wie möglich und auch positiv zu vermitteln, erwies sich als harte Nuss, an der wir alle zu knabbern hatten. Die positive Haltung erreichten wir über eine andere Übung: Wir versammelten uns auf der Terrasse und stellten uns vor, König*innen zu sein und unsere (leider) imaginären Untertanen zu grüßen. Eine Krone lässt sich schließlich nur mit der entsprechenden Haltung tragen: Buckel und hängende Schulten ade!

Tina und Carsten hatten für den Abend ein Treffen mit dem AK Queer der Uni Bayreuth organisiert, sodass wir uns nach dem Abendessen auf den Weg in die Stadt machten und nebenbei noch ein bisschen von der wunderschön barocken Architektur beeindrucken lassen konnten. Im IWALEWA-Haus angekommen, standen uns eine Handvoll sehr sympathischer Studierender aus dem Queer-Referat gegenüber, die uns über die aktuelle Ausstellung und das Programm für den Abend informierten. Neben Snacks und Getränken gab es auch mehrere Gesellschaftsspiele und schnell fanden sich ein paar Gruppen zusammen, die Cards Against Humanity oder, ganz klassisch, Wer bin ich? spielten. Zu späterer Stunde wurde noch die Tanzfläche eröffnet und der Tagesabschluss war perfekt!

Sonntag, 18. November 2018
Zu wenig Schlaf und ein gewisses Maß an Alkohol machen sich bei mir im Gesicht anscheinend bemerkbar. Jedenfalls wurde ich am nächsten Morgen beim Frühstücksbuffet mit vielsagenden Blicken und Grinsen begrüßt… Die Nahrung war auf jeden Fall eine gute Grundlage für den letzten Workshoptag, der ganz im Zeichen unserer „queerness“ stehen sollte. Minka überließ es uns Teilnehmenden, selber die Themen zu bestimmen, die wir behandeln wollten und so kam es zu einer weiteren praktischen Übung, bei der wir Dates simulierten und dabei versuchen wollten, mit der Möhren-Taktik zu punkten. Obwohl wir merkten, dass uns die offene Ansprache häufig noch schwer fällt, ging es bei dem Rollenspiel heiter zu und wir hatten eine Menge Spaß! Ein würdiger Abschluss für ein fantastisches Wochenende! Nach dem Mittagessen verabschiedeten wir uns nämlich schon wieder voneinander und verteilten uns wieder über ganz Deutschland (und Österreich). Fest stand aber, dass wir uns so bald wie möglich wiedersehen wollen und das war auch der Fall: Am 22. Dezember trafen wir uns auf dem Weihnachtsmarkt in Göttingen, Übernachtung natürlich wo? In der Jugendherberge ?
Danke an…
…Tina und Carsten (stellvertretend für HörEnswert e.V. inklusive Kilian), die die Idee für dieses Workshop-Wochenende hatten und damit den „Beginn von etwas Großartigem“ (Zitat Carsten) geschaffen haben!
…Minka und Jana, die uns mit unglaublich viel Freude und Offenheit begegnet sind! Unter ihrer Anleitung haben wir tolle Eindrücke gesammelt und viel über uns gelernt. Die Krone findet bei uns seit dem Wochenende regelmäßig Anwendung.
… Carola, Christin, Hanna, Joshua, Matthias, Nadja (die einzige Normalhörende in unserer Gruppe), Natascha, Pascal, Philipp, Raphael, Robin, Tommy und Simon für so viel Spaß in so kurzer Zeit und die tollen Gespräche, ob gebärdend oder lautsprachlich.
Es war mir eine Freude!

Diese Veranstaltung wurde ermöglicht durch:

Gefördert durch die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Verbände in Bayern


Felix schreibt und reist gerne (der Hase lässt grüßen). Sein CI bezeichnet er auch als „zauberhaftes kleines Schwarzes“ und er interessiert sich für alles, was die (queere) Popkultur hergibt.
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